Arbeit und Beruf

Der größere Teil unserer Erzähler*innen war zum Zeitpunkt des Interviews bereits berentet (siehe „Ende der Arbeitstätigkeit“). In allen Schilderungen nahm das Thema des Arbeitens unter Schmerzen einen großen Raum ein. 

Zwischen Arbeit und Schmerzen lässt sich in unseren Interviews eine Wechselbeziehung erkennen. Zum einen führen viele Erzähler*innen die Entwicklung ihrer Schmerzerkrankung ursächlich auf die Art ihrer Arbeit zurück. Dies konnte zum Beispiel darauf beruhen, dass sie Zeit ihres Berufslebens schweren körperlichen Belastungen ausgesetzt waren. Hier spielten vor allem das Tragen schwerer Lasten und das Arbeiten in Haltungen, die ungünstig für den Bewegungsapparat waren und zu Verschleißerscheinungen führten, eine vorrangige Rolle. Auch lange Arbeitszeiten am PC konnten wegen der Haltung und Daueranspannung zum Problem werden. Andere Erzähler*innen meinten, dass vor allem beruflicher Stress durch Überforderung, zu lange Arbeitszeiten ohne entsprechende Erholung, Spannungen am Arbeitsplatz oder hohe Verantwortung zum Entstehen der Schmerzerkrankung ursächlich beigetragen hätten.

Thomas Lärcher erzählt, wie die körperlichen Anstrengungen in jungen Jahren möglicherweise zu der Schmerzerkrankung beitrugen.

Susanne Maurer fand die Belastungen als Straßenbahnfahrerin für ihren Rücken problematischer als die Arbeit auf dem Bau.

Zum anderen wirkten sich die Schmerzen negativ auf die Arbeitsfähigkeit aus. Oft wurde es unmöglich, eine geregelte Arbeitszeit aufrecht zu halten, und die Arbeit selbst wurde wegen der Schmerzen und der Erschöpfung zur Qual. Viele berichteten, dass vor allem Konzentration, Energie und die Fähigkeit, auf andere Menschen einzugehen, nachließen, Reizbarkeit und das Bedürfnis nach Rückzug und Ruhe zunahmen. Viele körperliche Tätigkeiten waren wegen der Schmerzen nicht mehr ausführbar. Christa Schaub erzählt, wie sie erstmals im Laden vor den Kunden zusammenbrach und wusste so kann es nicht mehr weitergehen. Häufig ließ sich die Arbeit nur mit Einnahme von Medikamenten bewältigen, was wiederum zu Müdigkeit und Konzentrationsverlust führte und ernsthafte Probleme nach sich ziehen konnte, wenn die Betroffenen z.B. für ihre Arbeitstätigkeit ein Auto führen mussten. Oft setzten sie alle Kräfte in die Aufrechterhaltung ihrer Arbeitsfähigkeit ein, so dass sie abends und am Wochenende völlig erschöpft waren und keine Kraft mehr für familiäre oder Freizeitunternehmungen blieb. Alle bemühten sich darum, ihr berufliches Umfeld nicht unter ihren Schmerzen mitleiden zu lassen.

Britta Kern fand es schwierig eine Tätigkeit zu finden, die Ihren Bedürfnissen entspricht.

Monika Roth erzählt, wie sie versuchte, die Schmerzen in ihrem Arbeitsalltag nicht zum Tragen kommen zu lassen.

Viele unserer Erzähler*innen sahen sich in der Sackgasse, dass sie einerseits sehr gern arbeiten wollten und die Arbeit auch ein Mittelpunkt ihres Lebens war, andererseits erkannten, wie die Arbeit zum Fortschreiten ihrer Schmerzen beitrug oder anerkennen mussten, dass sie nicht mehr zu schaffen war. Häufig konnten sie sich nur nach langen und oft qualvollen Jahren oder mehreren Wiedereingliederungsversuchen von der Arbeit trennen (siehe „Ende der Arbeitstätigkeit“).

Peggy Reichel musste ihre Stunden immer weiter reduzieren und zeigt die Schwierigkeiten auf einer Arbeitsroutine mit chronischen Schmerzen nachzugehen.

Nicht bei allen erfüllte sich die Hoffnung, dass sich ihre Schmerzen nach Beendigung der Arbeitstätigkeit bessern würden. Während einige tatsächlich unter weniger Belastung eine Verbesserung erlebten, wirkte sich die Arbeitsentlastung bei anderen gar nicht aus. 

Renate Schröder musste nach Beendigung der Arbeit feststellen, dass sich an ihren Schmerzen nichts änderte.

Einige Erzähler*innen berichteten, wie sehr sie sich schämten, dass sie ihre Arbeit nicht mehr so ausführen konnten, wie sie das von sich gewohnt waren. Zu den Scham- und Schuldgefühlen trug auch das Gefühl, bei, dass ihre Umwelt ihnen ihre Schmerzen nicht abzunehmen schien und unterstellte, sie wollten gar nicht arbeiten. Auch wohlwollende Kolleg*innen konnten sich oft nicht in die Probleme mit der Schmerzerkrankung eindenken.

Maja Geissler würde sich ihrem Team gegenüber schlecht fühlen, wenn sie zu oft ausfiele.

Beate Schulte findet es sehr schwierig, den Arbeitskollegen zu vermitteln, warum sie eine Klinikbehandlung braucht.

Bei vielen Erzählenden beeinträchtigte oder beendete die Schmerzerkrankung ihre Berufskarrieren und –möglichkeiten. So wurde zum Beispiel der Erwerb von Zusatzqualifikationen zu belastend. Die unsichere Arbeitssituation zog oft Existenz- und Zukunftsängste nach sich. Vor allem die jüngeren Erzähler*innen hofften, sich ihre Arbeitsfähigkeit noch so lange wie möglich erhalten zu können, so dass die Bemühungen darum im Mittelpunkt ihres Lebens standen und alle Kräfte aufsaugten.

In jungen Jahren an starken Schmerzen zu leiden aber keine Diagnose zu haben, wirkte sich nachhaltig negativ auf Lara Voigts Berufsweg aus.

Einigen unserer Erzählenden gelang es, oft mit therapeutische Hilfe, ihre Arbeitssituation so zu verändern, dass sie besser damit zurechtkamen. Dies bedeutete bei einigen Betroffenen Berufswechsel oder Reduktion der Arbeitszeit, um Erholungszeiten einzubauen. Andere konnten an ihrer Arbeitsstelle auf einen weniger belastenden Bereich wechseln. Ein Interviewpartner entwickelte aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit sogar eine neue Existenz. Auch eine Veränderung der inneren Einstellung zur Arbeit half, manchen Stress zu verringern. Jutta Behrens schuf sich durch die Anpassung ihrer Büroausstattung eine deutliche Verbesserung.

Jennifer Pohl überlegt auf Teilzeit zu reduzieren um den Stress zu verringern.

Clemens Hofmann hatte die Chance, im Betrieb als Schichtleiter weniger zupacken zu müssen.

Ursula Bach erzählt, wie sie am Arbeitsplatz ihre Arbeit etwas anpassen konnte.

Von zentraler Bedeutung für die Arbeitssituation war für die meisten, wie die Kolleg*innen und Vorgesetzten mit den Folgen der Schmerzerkrankung, vor allem den häufigen Fehlzeiten und der eingeschränkten Einsatzfähigkeit umgingen. Hier waren die Erfahrungen extrem unterschiedlich. Bei einigen waren das Kollegenteam und die Chef*innen hilfreich und verständnisvoll und sprangen auch selbst ein, um zu entlasten. Andere fühlten sich sehr stark unter Druck gesetzt und erlebten, dass sie keinerlei Rücksicht erfuhren oder die Kolleg*innen sie sogar hänselten. Oft war es schwierig abzuschätzen, wieviel Rücksichtnahme man von den anderen erwarten durfte, wenn die Arbeitsbedingungen verlangten, dass alles funktionieren musste.

Kerstin Meck erzählt von der richtigen Entscheidung den Arbeitsplatz zu wechseln.

Tanja Werner erzählt, wie sie vom Chef und den Kollegen bei der Arbeit sehr unterstützt wurde.

Franz Albrecht erzählt, dass sein Chef eher unwillig reagierte, während eine selbst betroffene Kollegin ihn verstand.